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von Alan Turing

REZENSION Tami Kelling

Mit einem Spielfilm sowie ­mehreren Biografien und Ehrungen hat Alan Turing in den vergangenen ­Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten. Die mehrfach ausgezeichnete ­Graphic Novel von Robert Deutsch ist eine unkonventionelle Erzählung, die einen einfühlsamen Blick in das Leben des Wegbereiters der ­heutigen Informatik gewährt.

Die Geschichte beginnt mit einem Ende. Im Juni 1954 wird Alan Turing tot in seinem Schlafzimmer aufgefunden. Wer das schwere Buch mit den farbenfrohen Acrylmalereien aufschlägt, taucht ein in die letzten Jahre eines bemerkenswerten, aber auch tragischen Lebens. Dabei folgt der Autor keiner starren Chronologie. Vielmehr blickt er mit intensiven und klug geordneten Illustrationen tief in das Innenleben eines Genies auf der Suche nach Liebe.

Drei Jahre vor seinem Tod lernt Turing Arnold kennen, mit dem er schnell eine Beziehung beginnt. Ihm erzählt Turing von seinen Ideen, Ängsten und seinen Erinnerungen an seine verstorbene Jugendliebe Christopher. Körper und Geist scheinen ineinander zu fließen und zu zerfließen, wenn die beiden die Nacht miteinander verbringen. Am Morgen verschwindet Arnold mit Turings Geld, ein paar Wochen später wird bei ihm eingebrochen.

 

„Mein Traum ist es, Computer so zu programmieren, dass sie uns eins zu eins imitieren können.”
Alan Turing

Im Gespräch mit der Polizei gerät Turing selbst ins Visier, wird wegen „grober Sittenlosigkeit“ verhört. Er berichtet von seiner Zeit in der Baracke 8, muss aber feststellen, dass seine Leistungen im Zweiten Weltkrieg ihn vor Verurteilung nicht schützen.

Danach erleben wir einen anderen Turing: aufgedunsen, verwirrt, depressiv. Die chemische Kastration, der er sich unterziehen muss, fordert ihren Tribut. Von seiner Forschungsarbeit wird er ausgeschlossen. Erlösung findet er nur im Suizid mit einem in Cyanid getränkten Apfel, der ihn mit seiner Jugendliebe vereint.

Der Autor setzt hier neue Akzente in einer bekannten Geschichte. Das wissenschaftliche Schaffen Turings gerät in den Hintergrund, dessen Relevanz wird aber trotzdem deutlich. Gerade weil bei Deutsch Realität und Fiktion verschwimmen, weil er Emotionen vor Fakten stellt, lädt seine Erzählung zur Weiterbeschäftigung ein. Wie hätte Turing die ­Informatik, die Wissenschaft und die Welt prägen können, wenn er nicht unter der Stigmatisierung aufgrund seiner Sexualität hätte leiden müssen? Das ist die Frage, die wir uns am Ende des Buches zwangsläufig stellen.