Noch viel zu lehren

INTERVIEW Rika Baack

Bei der Informatik-Bildung sind die Bundesländer auf sehr unterschiedlichem Stand. Konkrete Pläne zur Einführung als Pflichtfach gibt es nun in Schleswig-Holstein. Karin Prien, Bildungsministerin des Bundeslandes, und Richard Schwarz, Informatiklehrer und Mitautor des Informatik-Monitors der GI, sprechen im Interview über Politik, Bildung, und darüber, was bei der Kombination der beiden zu beachten ist.

Frau Ministerin, Schleswig-Holstein will 2024 Informatik zum Pflichtfach machen. Jetzt gibt es erst mal einen Pilotversuch an 80 Schulen. Wie genau läuft dieser Pilotversuch ab?

Karin Prien  An den Pilotschulen erhalten etwa 15.000 Schülerinnen und Schüler den zweistündigen Informatikunterricht zum Schuljahr 2023/24. Die Vorgabe für die Pilotierung war, dass die Bewerberschulen begründet zwei Jahrgänge aus den Stufen 5 bis 9 auswählen, in denen sie je zwei Stunden Informatik pro Woche unterrichten wollen, beginnend mit der niedrigeren Klassenstufe. So will die Landesregierung die Erfahrungen aller Pilotschulen nutzen, um daraus anschließend mögliche Vorgaben für die Klassenstufen abzuleiten, in denen Informatik an allen Schulen unterrichtet werden soll.

Herr Schwarz, wie schätzen Sie die Pläne in Schleswig-Holstein ein?

Richard Schwarz  Erst mal ist das natürlich eine ganz positive Sache. Alles so systematisch aufzuziehen, finde ich gut, damit es dann auch angenommen wird. Gleichzeitig wurde auch bei der Qualifizierung von Lehrkräften schon sehr viel angestoßen. In Mecklenburg-Vorpommern wurde das Pflichtfach auch über eine Integration in den Stundentafeln eingeführt: Hier war mein Eindruck, dass die Qualifizierungsmaßnahmen eher nachgelagert wurden, sodass zunächst sehr viele fachfremde Lehrkräfte Informatik unterrichten mussten. So wie Schleswig-Holstein das angeht, steht die Einführung des Pflichtfachs unter guten Voraussetzungen. Es gehört auch immer Mut dazu, zu sagen, dass man sich dieser Änderung annimmt. Schleswig-Holstein kann somit anderen Bundesländern als Vorbild dienen.

„Die Vermittlung fachübergreifender Future Skills gewinnt an Bedeutung. Hier ist der verpflichtende Informatikunterricht ein guter und notwendiger Weg – und diesen Weg haben wir in Schleswig-Holstein jetzt begonnen.“
Karin Prien

Apropos Mut, Frau Prien: Was sind aktuell die größten Hürden, die eine Landesregierung auf dem Weg zum Pflichtfach Informatik nehmen muss?

KP   Die größte Herausforderung für uns war der erhebliche Lehrkräftebedarf für dieses Fach. Dem sind wir mit einer großen Weiterbildungsoffensive begegnet, die schon im Schuljahr 2021/22 ins Leben gerufen wurde. Trotz Coronapandemie bewarben sich damals auf den ersten Durchgang mit 100 Weiterbildungsplätzen weit über 200 Lehrkräfte. Die Bedingungen waren attraktiv gestaltet: Es gab einen unterrichtsfreien Tag pro Woche für die Weiterbildung sowie einen großen Anteil an Blended Learning. Zudem konnten die Lehrkräfte Exkursionen zu FabLabs und Fachhochschulen unternehmen und hatten die Möglichkeit, sich mit Expertinnen und Experten aus der Fachdidaktik auszutauschen. Im Januar 2023 haben die ersten knapp 90 Lehrkräfte ihre Weiter­bildung mit Erfolg abgeschlossen, ebenso viele wurden zum Sommer 2023 fertig. Im kommenden Frühjahr wird eine weitere Gruppe mit knapp 40 Lehrkräften ihre Weiterbildung beenden. Damit steht im Durchschnitt pro Schule etwas mehr als eine Informatiklehrkraft zur Verfügung.

RS    Das ist ein guter Anfang, jedoch langfristig nicht ausreichend. Zum Beispiel müssen an jeder Einzelschule die neuen Curricula ausgearbeitet und umgesetzt werden. An meiner Schule bin ich zum Beispiel für die Oberstufe verantwortlich und das als Einzelperson zu bewältigen, kann schon sehr herausfordernd sein. Für mich ist das A und O, dass an jeder Schule mindestens zwei bis drei Fachlehrkräfte vorhanden sind, die entsprechend qualifiziert sind.

Und wie steht es um die Hürden, die man als neue Lehrkraft für Informatik überwinden muss?

RS    Einmal gibt es da das Imagepro­blem. Die Informatik wird immer noch oft als sehr theorielastig und technisch angesehen, obwohl sie ja viel mehr bietet. Ich hoffe, dass das so auch in den Qualifizierungsmaßnahmen realisiert wird. Das motiviert dann auch die Lehrkräfte, das Fach in ihrem Unterricht kreativ umzusetzen.

Wer Informatik als Pflichtfach einführen möchte, muss auch festlegen, wo die Stunden dafür herkommen. Sehen Sie die Informatik in Konkurrenz zu anderen Fächern?

KP    Auf die rasant fortschreitende digitale Transformation in allen Teilen der Gesellschaft muss auch die Schule reagieren. Notwendig ist ein fachdidaktisch fundiertes Unterrichtsfach Informatik, das an allen weiterführenden Schulen eine informatische Grundbildung in der Sekundarstufe I gewährleistet, sowie fachintegrative, auch medienkundlich ausgerichtete Anteile in vielen anderen Unterrichtsfächern. Insofern „konkurriert“ das Fach Informatik im Hinblick auf Unterrichts-Zeitanteile mit allen Fächern, aber Fächer haben sich schon immer gegenseitig ergänzt und eine tiefgreifende Bildung ergibt sich erst in ihrem Zusammenspiel.

Haben Sie bereits erstes Feedback aus den Schulen erhalten, was das neue Schulfach angeht?

KP    Die ersten Reaktionen sind sehr positiv. Gewünscht wird aber eine höhere technische Verfügbarkeit von Endgeräten und ein breiteres Angebot hilfreicher Unterrichtsmaterialien.

RS    Von außen wird hier manchmal so ein Bild erzeugt über die Informatik, dass eine Schule total modern ausgestattet werden muss. Sie müsse WLAN und ganz viele digitale Endgeräte haben, am besten noch Smart­boards in jedem Raum und so weiter. Wir aus der Informatik sehen das anders: Natürlich wird ein Fachraum mit genügend Arbeitsplätzen benötigt. Das Fach hat jedoch selbst ohne die Nutzung eines Computers ganz viel zu bieten: „Informatik unplugged“ ist da ein wichtiges Stichwort. Von der fünften Klasse an gibt es viele Möglichkeiten, informatische Themen handelnd zu erleben. Die Infrastruktur ist also kein Grund, Informatik nicht einzuführen.

Was muss aus Ihrer Sicht noch getan werden, um junge Menschen auf das Leben in einer zunehmend digital geprägten Welt vorzubereiten?

KP    Eine der größten Herausforderungen ist es, das Lernen mit digitalen Medien weiter in den Unterricht zu integrieren, auch mit Blick auf KI-Systeme wie ChatGPT. Dabei geht es gar nicht nur um die Frage des Ob bei der Verwendung digitaler Werkzeuge, sondern insbesondere um das Wie, also um die sichere und kritische Nutzung digitaler Lehr-Lernmaterialien.

RS    Die Schule hat schon einen wichtigen Stellenwert. Nichtsdestotrotz gibt es auch außerschulisch viele Möglichkeiten, über Projekte, zum Beispiel auch von der GI, junge Menschen anzusprechen. Die Schwierigkeit, die ich hier oft sehe, ist, dass dies tendenziell diejenigen trifft, die ohnehin interessiert sind. Das ist eine Nuss, die es zu knacken gilt, damit wir am Ende keine gesellschaftliche Spaltung haben zwischen Menschen, die interessiert sind und das Know-how haben, und jenen, die diese Technologien nur nutzen und passiv konsumieren.

Der Informatik-Monitor

Die Publikation wird jedes Jahr von GI, Stifterverband und Heinz-Nixdorf-Stiftung veröffentlicht – basierend auf der Synopse von Richard Schwarz. „Mein Ziel beim Staatsexamen war es, etwas Nachhaltiges zu leisten, was nicht in der Schublade landet. So ist es dazu gekommen, dass ich den Informatikunterricht in Deutschland auf einer strukturellen Ebene in den Bundesländern untersucht habe. Besonders hat es mich gefreut, dass die GI die Publikation weiterführt und einer viel größeren Öffentlichkeit bereitstellt. Jetzt hoffe ich, dass die Karte sich zunehmend grün färbt. Das ist auch das, was mich motiviert: Es geht in kleinen Schritten voran, aber es geht voran.“

informatik-monitor.de

Wie sehen Sie die Rolle der Bundespolitik beim Thema informatische Bildung? Was kann sie tun, um die Bemühungen von Ländern wie Schleswig-Holstein auf dem Weg zum Pflichtfach zu unterstützen?

KP    Vor dem Hintergrund einer sehr dynamischen Entwicklung im gesamten IT-Bereich ist ein Digitalpakt 2.0 unabdingbar, insbesondere im Hinblick auf die hohen Kosten im Bereich KI-gestützter Systeme. Hier wäre sogar auf einen europäischen Ansatz zu drängen.

Und was wünschen Sie sich von der Bundespolitik, Herr Schwarz?

RS    Vieles! Es fängt schon damit an: Bundespolitik im Bereich Bildung ist ja an sich eine komplexe Sache, da Beschlüsse nicht bindend sind. Die GI hat mit den Bildungsstandards einen guten Aufschlag dazu gemacht, dass es allgemein akzeptierte Kompetenzen und Inhalte gibt, an denen sich alle Bundesländer orientieren können. So wäre auch das Problem gebändigt, dass es durch den Flickenteppich je nach Bundesland keine guten Lehrbücher und Lehrmaterialien gibt. Solche für die Informatik zu erstellen, scheint für Verlage nicht sehr attraktiv zu sein. Bisher hält sich die Kultusministerkonferenz aber zurück, diese Bildungsstandards offiziell anzuerkennen. Hier würde ich mir wünschen, dass es initiiert wird, auf einen gleichen Nenner zu kommen. Außerdem müssen sich jene Bundesländer, die sehr hinterherhinken, in den Austausch begeben und von anderen beraten lassen.

Inwiefern?

RS    Ich glaube, mehr Austausch mit anderen Bundesländern, mit der GI oder auf Basis des Informatik-Monitors ist hier essenziell. So träge und reaktiv, wie es mir derzeit in der Bildungspolitik erscheint, kann es nicht bleiben. Hier ist Proaktivität gefragt, um Deutschland und die Generation von morgen zukunfts­fähig zu machen. Ich kann jetzt schwer verlangen, den Bildungsföderalismus abzuschaffen, der ja innovationsfördernd sein soll, aber für die Einführung des Pflichtfachs Informatik ist das kaum der Fall, wie mir scheint.

Wie schätzen Sie persönlich die Bedeutung von Informatikunterricht ein?

KP    Die technische Entwicklung ist derart rasant, dass sich schon heute niemand mehr auf ein Wissen berufen kann, das vor 20 oder sogar erst zehn Jahren erworben wurde. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Vermittlung fachübergreifender Future Skills an Bedeutung. Dazu gehören technologische Kompetenzen wie Kenntnisse in Data Analytics und Künstlicher Intelligenz. Hier ist der verpflichtende Informatikunterricht ein guter und notwendiger Weg – und diesen Weg haben wir in Schleswig-Holstein jetzt begonnen.

RS    Das kreative, kritische und problemlösende Denken lernt man sehr gut in der Informatik. Diese Kompetenzen können über die Informatik hinaus wertvoll sein; für andere Fächer und Disziplinen genauso wie für das ganze Leben. Meine persönliche Neugier geht darüber hinaus, Informatiksysteme und Werkzeuge einfach nur effizient zu nutzen. Wir sind heute alltäglich mit digitalen Medien beschäftigt – zumindest ein Stück weit zu verstehen, wie sie im Hintergrund funktionieren, hat für mich auch etwas mit Mündigkeit, mit Demokratie und Partizipation zu tun. So kann ich auch auf dieser Basis Entscheidungen treffen und nicht nur, weil etwas schön aussieht.

„So träge und reaktiv, wie es mir derzeit in der Bildungs­politik erscheint, kann es nicht bleiben. Hier ist Proaktivität gefragt, um Deutschland und die Generation von morgen zukunftsfähig zu machen.“
Richard Schwarz

Karin Prien

ist seit Juni 2017 Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-­Holstein sowie eine von fünf stell­vertretenden Bundes­vorsitzenden der CDU. Im Jahr 2022 war sie zudem Präsidentin der Kultusministerkonferenz.

Richard Schwarz

ist Informatik­lehrer an einer Schule in Berlin und Mit-­Autor des Informatik-Monitors. Seit 2023 ist er auch Teil des Bildungsteams der Berliner Geschäftsstelle der GI.