Zwischen Algorithmik
und Ästhetik

TEXT Alexandra Resch

Frieder Nake zählt zu den ganz Großen in der Computerkunst. Nach mehr als 60 Jahren zwischen Kunstmarkt und Campus hat er viele Geschichten zu erzählen – und findet klare Worte zu KI, Kitsch und guter Lehre.

Ein Wiener namens Knödel ist mit dafür verantwortlich, dass Frieder Nake zu einem der ersten Computerkünstler der Welt wurde. Besagter Professor hatte den jungen Nake eines denkwürdigen Morgens im Februar 1963 angesprochen: „Wissen’S was, wir kaufen a Zeichenmaschin. Aber wir kriegen ka Software. Machen Sie uns eine?“ Nake, damals Mathematikstudent im vierten Semester an der Technischen Hochschule – heute Universität – Stuttgart, sagte selbstbewusst zu. „Das ist der wundervolle Zufall in meinem Leben“, resümiert der heute 84-Jährige. Und damit hat er wohl nicht unrecht. Denn dieser erste Auftrag hat zu Hunderten von Kunstwerken, Ausstellungen in aller Welt und einer Vielzahl von Publikationen rund um Informatik und Ästhetik geführt.

Die Zeichnungen, die Nake in den 60er-Jahren auf einem Graphomat Z64 der Firma Zuse erstellte, sind heute in zahlreichen Museen, Galerien und privaten Sammlungen zu sehen. „Frieder Nake war und ist eine der absolut zentralen Figuren in der Entwicklung der Computergrafik als eigenständiger Kunstform“, sagt Prof. Dr. Christoph Grunenberg, Direktor der Kunsthalle Bremen. „Seine Kunstwerke bestechen durch ihre Kombination von systematischer Strenge mit spielerischen und Zufallselementen und farbiger Freiheit, die bis heute eine ungebrochene Frische ausstrahlen.

Eineinhalb Stunden und mehr konnte es damals dauern, eine solche Zeichnung aufs Papier zu bringen. Zugrunde lagen ihr mathematische Formeln und Regeln, die der Maschine zum Beispiel einen Startpunkt und eine Auswahl an Richtungen vorgaben, sie vor Probleme stellten und sie so dazu bewegten, immer neue Motive zu zeichnen. Im Vergleich zu seinen Kollegen sah Nake sich mit der Zuse-Maschine klar im Vorteil: „Der Graphomat ist mit dem Gedanken an das Ingenieur-Zeichnen erstellt worden, deswegen war er viel präziser als andere Geräte. Er konnte in jeweils 16 unterschiedliche Richtungen pro Quadrant zeichnen, da war viel möglich.“

Beim Betrachten eines seiner Bilder aus dieser Zeit kommt Nake ins Schwärmen: „Da gibt es Stellen, gerade am Bildrand, über den das Programm nicht drüberzeichnen durfte, die mir besonders gut gefallen. So entscheidet es sich zum Beispiel, am Bildrand entlang nach unten zu zeichnen, verfängt sich in den Ecken und macht ein Geschmiere, bis es sich endlich wieder befreit – ästhetisch ist das toll, wenn so was passiert. Diese zufälligen Entscheidungen finde ich spannend.“ Ganz offen gibt er aber auch zu: „Manche dieser Zeichnungen waren stinklangweilig.“

KI-Kunst? Alles Kitsch!

Ähnlich klare Worte findet Frieder Nake auch für die neuen Möglich­keiten der Computerkunst, die generative KI-Tools wie Midjourney oder Dall-E bieten: „Natürlich habe ich das mal ­angeschmissen, zwei, drei Bilder machen lassen. Aber meine Reaktion war sofort: Alles Kitsch! Das mag arrogant klingen, aber für mich zählt, dass das nicht von einem ­Gedanken kommt, der eine Form ­findet, sondern von einer Maschine.“ Und mit ­Maschinen kennt sich Nake aus.

Seine ersten Erfahrungen mit dem Programmieren hat er 1958 gemacht, damals knapp 20 Jahre alt, während eines Ferienjobs im Headquarter von IBM bei Stuttgart. „Das war das erste Mal, dass ich einen Computer gesehen habe: einen IBM 650 – der hat einen ganzen Saal gefüllt. Kisten und Schränke voller Elektronik. Unglaublich, dass das heute alles in ein Smartphone passt!“ Mithilfe einer Broschüre brachte er sich die Grundlagen bei und begann, eigene Programme zu schreiben. „Mein erster Versuch war ein sogenannter immerwährender Kalender. Das ist eine Tabelle, die einem, wenn man sie richtig lesen kann, für jedes Datum in der Zukunft oder der Vergangenheit den Wochentag verraten kann. Die war früher immer hinten in den Taschenkalendern drin. Und so eine habe ich dort selbst programmiert.“

Diese Freiheit, sich auszuprobieren, möchte Nake als Hochschullehrer auch seinen Studierenden ermöglichen. Mehr als hundert Semester hat er schon hinter sich. „Ich möchte meine Lehre so offen wie möglich gestalten. Aus meiner Sicht macht Lehre sehr viel Spaß – aber nur, wenn du dich davon befreist, dass etwas Bestimmtes geschehen muss.“ Immer noch betreut Nake bis zu 20 studentische Arbeiten pro Semester. Darunter sind sowohl solche aus dem Studiengang Digitale Medien an der Uni Bremen, den er „irgendwo zwischen Algorithmik und Ästhetik“ einordnet, als auch sehr künstlerische Arbeiten von Studierenden der Hochschule für Künste, an der er selbst 15 Jahre lang unterrichtet hat. „Ich schätze mich sehr glücklich, dass sich so viele noch für mich alten Knacker als ihren Betreuer entscheiden.“ Die Rolle nimmt Nake sehr ernst und versucht, sich viel Zeit für die Studierenden zu nehmen. „Kürzlich hat mir ein Student erzählt, dass er seine Arbeit bei einem Professor schreibt, den er noch nie zu Gesicht bekommen hat. Das machen alles die Assistenten. Ich finde es unglaublich, dass unser Uni-System das erlaubt!“

Geht es nach Nake, sollte in deutschen Universitäten sowieso einiges anders laufen. „Ich finde, wir müssen das Konzept Thesis abschaffen. Es braucht neue Arten, ein Studium abzuschließen. Einen Text zu verlangen, ist für mich in Zeiten von ChatGPT nicht mehr zeitgemäß.“

Wenn Nake über die Lehre spricht, wird deutlich, dass ihm daran ähnlich viel liegt wie an seiner Kunst. Und das ist nicht verwunderlich, wenn man an den anfangs genannten Professor Knödel denkt. „Dass er mir diese Aufgabe gegeben hat, hat mein ganzes Leben geprägt. Für mich zeigt diese Geschichte, wie es zwischen Lehrenden und Studierenden zugehen soll: Er hat mir etwas zugetraut, von dem ich keine Ahnung hatte. Und ich habe einfach Ja gesagt. Auf beiden Seiten gab es ein großes Vertrauen – genauso muss es sein.“

Frieder Nake

ist Mathematiker, Informatiker und ein Pionier der Computerkunst. Er hat seine Werke weltweit ausgestellt und war 1970 auch auf der Biennale in Venedig vertreten. Zudem ist er Professor für grafische Datenverarbeitung und interaktive Systeme an der Universität Bremen. Nake ist seit 1972 Mitglied der GI und erhielt 2018 als erster Preisträger die Klaus Tschira Medaille, die die GI zusammen mit der Klaus Tschira Stiftung verleiht.

Ein echter Dresscode

Zusammen mit Frieder Nake hat die GI eine Merch-Kollektion ­herausgebracht, die ­ausgewählte Werke des Künstlers zeigt. GI-­Mitglieder können die Pullis und ­T-Shirts ab sofort vorbestellen unter:
gi.de/merch-kollektion